LKV Berlin

Landes-Kanu-Verband Berlin e.V.

Geschichte der Insel Seddinwall

Die Insel Seddinwall, die bis Ende April 2020 unseren Naturzeltplatz beherbergte, ist ein Ort mit langer Vergangenheit. An dieser Stelle möchte wir Sie auf eine kleine Zeitreise einladen – eine Reise durch die Geschichte der Insel Seddinwall. Im ersten von zwei Teilen finden Sie eine chronologische Auflistung der wichtigsten Ergeinisse, Teil zwei ist der Bericht eines Landgangs auf Seddinwall.

Chronologischer Überblick


vor 18000 Jahren

Entstehung der Landschaft während der Weichseleiszeit

ca. 2000 v. Chr.
Funde aus der Jungsteinzeit beweisen, dass die Insel um diese Zeit bereits bewohnt war.

1000 bis 500 v.Chr.
Scherben und eine Henkeltasse lassen sich der jüngeren Bronzezeit und der frühen Eisenzeit zuordnen Mittelalter Slawenbesiedlungen werden auf „Seddinwall“ nachgewiesen.

1806
Fischer Kanis zieht mit Familie auf die Insel. Er stirbt 1850.

1819
Colonist Johann Christan Rubbin übernimmt die Insel in Erbpacht.
  
1861
Nach dem Tode Rubbins zieht sein Sohn, Schiffer Grasse, mit Frau und 17 Kindern auf die Insel. Zwistigkeiten mit dem jüngeren Bruder und anderen Besitzern.

1895
Grasses Sohn verkauft die Insel an Kaufmann Fricke, der eine Fabrik für Pferdebrot plant.

1897
Bankier Neumann ersteigert die Insel. Es gelingt ihm, die Erbpacht abzul6sem und „Seddinwall“ in freies Eigentum zu überführen.

1899 – 1909
Der Landwirt Hermann Kersten erwirbt die Insel, bewirtschaftet sie und und verwandelt „Seddinwall“ im Laufe von zehn Jahren in eine Parklandschaft mit Restauration, Dampferanlegestelle, Badeanstelle Pavillons und Springbrunnen.

ca. 1920
Familie Fahrenholtz ersteht die Insel und betreibt bis zum Anfang des II. Weltkriegs ein relativ exklusives Restaurant auf „Seddinwall“.

2. Weltkrieg
Die Nachrichten von der Insel sind widersprüchlich. Gerüchte von einer möglichen Flak-Stellung, einem Munitionslager oder einem Treff der Nazis auf „Seddinwall“ lassen sich bislang nicht belegen.

1950
Der DKSV pachtet die Insel. In den siebziger Jahren wird der Wanderzeltpaltz auf „Seddinwall“ zum Dauerzeltplatz. Ein Brunnen wird gebohrt, 1987 eine Toilette mit Wanne eingerichtet. Die Insel „Seddinwall“ wird schon zu DDR-Zeiten als „Flächennaturdenkmal“ verstanden und genutzt.

nach der Wende 1989
Pächter ist jetzt der Landes-Kanu-Verband Berlin. Dem Bemühen der Dauerzeltler der verschiedensten Vereine ist es zu verdanken, dass bis heute auf „Seddinwall“ ein einmaliger Naturzeltplatz erhalten werden konnte.

Landgang auf Seddinwall

Leise tuckert das Boot über den Seddinsee. Eine leichte Brise hat sich aufgemacht. Voraus liegt „Seddinwall“ 250 Meter lang. 200 Meter breit. Die größte Insel der Seenregion. Eine Landschaft im Südosten Berlins, der die Eiszeit das Gesicht gegeben hat. Vor 18000 Jahren.
Die Anlegestege. Versteckt unter den ausladenden Ästen der Bäume und Sträucher. Es könnte die Stelle sein, an der vor 200 Jahren der Fischer Kanis ein Haus gebaut hat. Der Fischer unterhielt in der Nähe des Ortes Gosen eine Fähre. Als 1806 die Soldaten Napoleons auch Köpenick erreichten, schaffte Fischer Kanis – eifersüchtig wie er war – seine Frau, die „schöne Hanne“ und sich selbst samt der Kinder auf die einsame, schwer zugängliche Insel, um sie vor den wilden aber galanten Besatzern zu schützen. Die Insel gefiel ihm. So blieb er, auch als die Franzosen längst abgezogen waren. Er blieb auch, nachdem seine Frau Hanne gestorben war. Als er im Oktober 1850 weder auf dem Markt noch beim Gottesdienst erschien, fuhren Schmöckwitzer Fischer zur Insel. Sie fanden ihn auf einem Schilfbündel vor seinem Haus. Kanis war gestorben. Er ist auf dem Schmöckwitzer Friedhof begraben worden.
In seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ hat Theodor Fontane die Geschichte bewahrt. Die Geschichte des Fischers vom Kaniswall. Allerdings heißt die Insel bei Fontane noch „Robin’s Eiland“. Ein Name, der wohl auf den Handelsmann Rubbin zurückgeht, der 1819 die herrenlose Insel vom Landrat von Löschebrand erhielt. Jährlich zahlte der Colonist Johann Christian Rubbin 16 Taler, 22 Groschen, 8 Pfennige Erbstandsgeld – wie ein alter Hypothekenschein vom 30. August 1920 belegt. Nach Kanis‘ Tod baute Rubbin ein eigenes Häuschen ganz in der Nähe der alten, aber sehr verfallenen Fischerhütte. Er hinterließ Seddinwall seinen drei Söhnen. Da er in wilder Ehe gelebt hatte, hießen sie Grasse. Sein Sohn, der Schiffer Grasse zahlte einen seiner Brüder aus und zog auf die Insel. Mit seiner Frau und 17 Kindern. Die Kinder verteilte er auf die Schulen von Schmöckwitz, Gosen und Muggelheim. Dort wurden sie auch unterrichtet, allerdings nur widerwillig. Denn Grasse zahlte einfach keine Steuern.
Aber er bebaute die Felder, trieb Viehzucht und hielt sogar Kühe. Das ging gut. bis sich sein jüngerer Bruder – ein Bootsbauer – auf der Insel niederließ. Die Idylle dauerte nur drei Jahre. „Dann erreichten die wohl begründeten Eifersuchtsszenen eine solche Höhe, dass Schiffer Grasse mit der Flinte in der Hand seinen Bruder um die Insel herum und von ihr fortjagte.“ Vermerkt 1906 von Georg Eugen Kitzler in der illustrierten Wochenschrift für Touristik und Heimatkunde „Die Mark“. Nun war Grasse Herr auf Seddinwall. Und das an die 50 Jahre. Alt geworden vermachte Schiffer Grasse die Wirtschaft seinem Ältesten.
Doch der Sohn verkauft die Insel an Kaufmann Fricke. Samt seinem Vater. Für 15000 Mark. Fricke hat große Pläne. Er will auf Seddinwall eine Fabrik bauen, um Pferdebrot herzustellen. Aus Holzmehl und anderen Ersatzstoffen. Eine Genehmigung bekommt er dafür nicht. So lässt er das Eiland versteigern.
Die Insel fällt an Bankier Neumann. Der Bankier zahlte Schiffer Grasse das Altenteil aus und wandelte das Erbpachtrecht in privaten Besitz um. Für eine nicht unerhebliche Summe an den Fiskus. Doch bauen durfte auch er nicht. Verärgert verkauft er 1899 an Hermann Kersten, einen Landwirt. Mit dem neuen Besitzer bekommt die Insel auch ein neues Gesicht. „30 Kahnladungen Erde wurden zur Einebnung sumpfiger Stellen und Herstellen von Wegen angefahren. Wege und Strandpromenaden wurden angelegt, etwa 700 Bäume gepflanzt… sowie etwa 3000 Sträucher…“. Eine Parklandschaft entsteht. Und noch heute finden sich wilde Obstbäume, Kastanien und Ebereschen auf der Insel.
Kersten baut auch Gemüse an, Roggen und Kartoffeln. Nach einigen Querelen mit den Behörden kann er das alte Wohnhaus zu einem Landhaus ausbauen. 1905 bekommt er sogar die Erlaubnis Bier auszuschenken. Ein Jahr später lässt er eine Dampferbrücke bauen, an der auch große Schiffe anlegen können. Und er macht Reklame für seine Restauration in vielen Berliner Blättern. „Robin’s Eiland“ wird zu einem beliebten Ausflugsziel der Berliner. Vor allem der Ruderer und Segler. Aber auch die Künstler des „Wintergartens“ feiern 1908 ein Sommertest auf der Insel. „In großzügiger Weise „- wie eine Berliner Zeitung vom 20./21. August 1938 noch 30 Jahre später berichtet .Die Bardamen aus der Französischen Straße in Berlin gehören zu den Stammgästen. Sie kommen regelmäßig einmal in der Woche. Zur Attraktion aber wird die glückliche Landung des Ballons „Zentaur“ am 8. Juli 1908, abends 8.08 Uhr Mit vier Insassen – drei Herren und eine Dame – unter Führung des Aeronauten „Brunner“ aus Wien.
Bei den Arbeiten auf der Insel war Hermann Kersten auf ein altes, vermutlich vorgeschichtliches Tongefäß gestoßen. Professor Albert Kieckebusch übernimmt die Ausgrabungen Es wird eine archäologische Sensation. „In kurzer Zeit stießen wir nach Abhebung der jungen Humusschicht auf eine in den gewachsenen Boden eingeschnittene sackartige Vertiefung, die mit dunkler Erde ausgefüllt war und als uralte Wohn- oder Kochgrube betrachtet werden muss“, notiert Professor Kieckebusch. Zwei spätere Grabungen auf der Insel – vor allem im Nordosten – fördern neue Kochgruben zutage. Dazu Bruchstücken eines Bechers mit tief eingeschnittenen Ornamenten. Und ein Stück Bernstein. So groß wie eine Streichholzschachtel. Zeugen aus der Steinzeit. An die viertausend Jahre alt. Viele Scherben und ein Henkelgefäß lassen sich der jüngeren Bronzezeit oder der Eisenzeit zuordnen. Und beweisen, dass das kleine Eiland bereits lange vor der Zeitenwende besiedelt war.
1909 verlässt Hermann Kersten „Seddinwall“. Eine Familie Fahrenholtz erwirbt die Insel. Seit den zwanziger Jahren betreibt auch sie eine Restauration. In Straube’s Führer für Wasser Wanderer „Hip Hip Hurra“ von 1925 wird das Landhaus des Guido Fahrenholtz ausdrücklich empfohlen. Und in einem Bericht aus der Gosener Chronik heißt es, dass auf der Insel nur gut betuchte Gäste in ihren exklusiven Motoryachten angelegen. Meist geht es hoch her. Der Sekt fließt in Strömen. Und man munkelt, dass auf der Insel sogar Nackttänze aufgeführt werden. Der II. Weltkrieg beginnt. Das Benzin wird rationiert. Die Gäste bleiben aus. Das Restaurant muss schließen. Die Nachrichten von der Insel werden spärlich und widersprüchlich
Klaus Jörn hat das Kriegsende im Zwiebusch erlebt, auf der kleinen Landzunge genau gegenüber von Seddinwall. Er ist 12 Jahre alt. Mit dem Paddelboot macht er sich auf zur Insel. Manchmal mit einem Freund, oft auch allein. Das Abenteuer schlechthin. Die Insel ist menschenleer. Das Restaurant steht noch. Und ein komfortables Wohnhaus. In der Mitte einige Wochenendhäuser aus Holz. Mit kleinen Terrassen davor. In den verlassenen Gebäuden findet sich so ziemlich alles, was einen Jungen interessiert. Am meisten imponieren ihm die großen Bootsmodelle. Schließlich hat er eine ganze Armada zu Hause. Nur einmal packt ihn die Angst auf der einsamen Insel. „Diesmal war ich allein hinübergerudert. Ich stöberte im ersten Stock des Restaurants in Schubladen und Schränken, als ich plötzlich Schritte auf der Treppe hörte. Durch die geöffnete Tür schob sich ein Pistolen lauf. Danach ein junger russischer Soldat. Als er mich sah, machte sich auf seinem Gesicht Erleichterung breit. Er hatte wohl genauso viel Angst wie ich.“ Die Jungen sind nicht die einzigen, die sich auf „Seddinwall“ bedienen. Nach und nach verschwindet alles, was sich nur irgendwie von der Insel transportieren lässt. Klaus Jörn ist heute 75 Jahre alt. Und erinnert sich noch sehr genau an seine Besuche auf Seddinwall. „In der Mitte der Insel war ein Hügel aus frischem Sand aufgeschüttet. Uns hat man damals erzählt, dass hier acht Menschen verscharrt sind, die sich nach dem Krieg erschossen haben. Wie viele damals. Später sind sie wohl exhumiert und auf einem Friedhof beigesetzt worden. Ich habe nie erfahren, wer sie gewesen sind.“ 1950 pachtet der Kanuverband der DDR Seddinwall. Seitdem wird die Insel wieder bewohnt. Zwischen April und Oktober. Von Kanusportlern aus Berliner Vereinen. Aus dem Wanderzeltplatz wird ein Dauerzeltplatz. Mit einer strengen Zeltplatzordnung und einem „Inselbürgermeister“. Anfang der siebziger Jahre wird der erste Brunnen gebohrt und ein Plumpsklo eingerichtet. Inzwischen gibt es drei Pumpen auf der Insel. Seit 1987 sogar eine Toilette mit Wanne. Viersitzig. Über ein halbes Jahrhundert haben sich Zeltler bemüht, ihre Insel als naturbelassenen Rastplatz zu erhalten. Noch heute folgen die Hauptwege den Pfaden und Alleen, die Hermann Kersten vor 100 Jahren angelegt hat. Auch seine Baumpflanzungen sind zum Teil noch erhalten. Die Ringelnatter lebt hier genau so ungestört wie der seltene Hirschkäfer und die Fledermaus. Seit der Wende ist der Landes-Kanu-Verband Berlin Pächter auf „Seddinwall“. Inzwischen zelten auf dem Eiland Sportler die schon ihre Kindheit auf der Insel verbracht haben.
Einer von ihnen ist Steven Kriegel. Er war vier, als seine Eltern ihn das erste Mal mitnahmen. Heute ist er 24 und der Insel treu geblieben. Es sind junge, engagiere Leute, die sich um das idyllisches Eiland sorgen. Für sich und alle Wassersportier, die hier ihre Zelte aufschlagen wollen. Auf dem Naturzeltplatz „Seddinwall“ am Rande der großen Stadt Berlin.

Der Wanderer durch die Mark Brandenburg, Theodor Fontane, hätte seine Freude daran.